Samstag, 18. Juli 2015

Warum eine vegane Wurst?




In den vergangenen Tagen hatte ich eine kleine Diskussion über vegetarische bzw. vegane "Ersatz"produkte. Ich hatte mir zu einer Portion Nudeln die Bauernknacker von Wheaty zubereitet und mein Gesprächspartner meinte, dass dieses Produkt eigentlich zumindest „Weizeneiweiss in Bauernknackerform“ heißen sollte. Dies und die Frage, warum veg. Produkte denn so nach Fleisch aussehen, bekomme ich irgendwie immer wieder zu hören. Gefragt wurde ich auch schon, warum ich das, was ich nicht essen will, durch "Fleischersatz" ausgleiche. Dann könnte ich doch schließlich gleich wieder alles essen. Ganz so ist das allerdings nicht.

Ich möchte kein tierisches Fleisch essen und so gibt es - aus meiner Sicht - dann nichts zu ersetzen. Für mich sind es eigenständige Produkte. Zumal das Wort „Fleischersatz“ offenbar eine Schöpfung der Omnivoren, also der Alles-Esser, ist. Kein Vegetarier/Veganer denkt sich: „ich muss jetzt noch das und das und Fleischersatz kaufen“. Die Ersatz- oder Imitatprodukte sind aber keine plötzlichen Produkte der Neuzeit. Es handelt sich dabei um Lebensmittel, die geschmacklich, haptisch oder vom Proteingehalt her Fleisch ähneln ohne dabei aus Fleisch hergestellt zu sein. Im Buddhismus hat die Imitation von Fleischprodukten sogar eine 1.500-jährige Tradition. Sie geht dabei auf ein Dekret des Kaisers Wu von 517 zurück, der darin seine Ablehnung der Verwendung von lebenden Tieren bei den Opferriten in den konfuzianischen Ahnentempeln festlegte. Als Ersatz wich man zuerst auf tote Tiere, dann auf Imitate aus pflanzlichen Materialien aus. 522 ordnete der Kaiser durch ein Dekret die Einführung des Vegetarismus für die buddhistischen Mönche und Nonnen in seinem Reich an. Auch auf Grundlage dieses Dokumentes wurden die Fleischimitationen in den nachfolgenden Jahren und Jahrhunderten immer weiter verfeinert. Heute noch lässt sich in den Bodhisattva Gelübten der buddhistischen Mönche nachlesen, dass der Genuss von Fleisch den angeborenen Samen des großen Mitgefühls zerstört.



In der westlichen Welt lässt sich das 1745 gedruckte Traktat von Jacopo Bartolome Beccari als erste Abhandlung über Weizeneiweiß nennen. Der Mediziner suchte eine Möglichkeit die Hungersnöte einzudämmen. 1929 wurde in den USA das erste „Fleischersatzprodukt“ auf Basis von Weizeneiweiß (Seitan) produziert. Die ersten bewussten Seitanprodukte in Europa produzierte 1977 der belgische Metzger Jos van de Ponseele, der selbst kein Fleisch mehr aß und seine große Metzgerei bald darauf veräußerte.   

Dabei ist Weizeneiweiss nicht die einzige Möglichkeit. Das Spektrum der Ersatz- oder Imitatprodukte ist groß und reicht von festfleischigen Pilzen und Gemüse über Pflanzenprodukten bis hin zu industriell hergestellten Imitaten. Allein im Eintrag von Wikipedia finden sich dort 25 Varianten, deren Verwendung verschiedene Gründe hat(te). So ist zum Beispiel Tempeh ein traditionelles indonesisches Produkt aus Sojabohnen. Quorn wird aus fermentierten Myzel des Schlauchpilzes hergestellt und ist bereits seit den 1980er Jahren in Großbritannien auf dem Markt. Die Süßlupine wird seit 1997 angebaut und genutzt und die Herstellung von Tofu geht auf das 2. Jh. vor Chr. in China zurück. 



Die Anzahl der Vegetarier und Veganer steigt, dieser Veränderung passt sich auch die Industrie an und erhöht das Angebot. Veganer sind keine Exoten mehr und auf sie ausgerichtete Produkte sind vielen eine Hilfe zum Einstieg, sozusagen eine Brückentechnologie. Auch sind viele nicht vegetarisch oder vegan erzogen worden, so dass viele mit dem Geschmack der Fleischprodukte aufgewachsen sind und in dieser Zeit gelernt haben ihn zu mögen und teilweise auch zu lieben; genau das aber ist dann eine Hürde beim Umstieg. Womit die Lösung folgend Fleisch ohne Fleisch wäre/ist. Eine Wurst aus Seitan ist nur dann ein Fleischersatzprodukt, wenn ich es auch als solches begreife. Da die vegetarische oder vegane Küche aber nicht aus Ersatzessen besteht und Seitan-Würstchen, Cashew-Käse, Bratlinge, veganes Mett usw auch selbst herzustellen sind, ist die Diskussion, ob man den Produkten Namen tierischer Produkte gibt in meinen Augen irrelevant.

Zu Wurst wurde früher schon alles kleingehackt, was sich nicht verkaufen lies und dann in einen Darm gedrückt. Etymologisch geht das Wort auf das 11. Jahrhundert zurück und bedeutet so viel wie „wirren“, so dass von „Gemengsel“ auszugehen ist. Das ist bei einer vegetarischen/veganen Wurst nicht anderes. Auch hier wird Brät in eine Hülle aus Pflanzenfasern gepresst. Wurst heißt also nicht Wurst, weil sie mal ein Schwein war, sondern weil jemand das Produkt nach dem Herstellungsprozess benannt hat. Und Schnitzel war ursprünglich lediglich ein abgeschnittenes Stück Obst. Es wurde erst später zu einem Fleischstück.



Der Mensch sucht und findet in seinem Handeln immer nach einem Sinn für Alles und Jeden. Nicht immer sind sogenannte Ersatzprodukte industriell gefertigt. Wozu soll man aber nach optischer und sprachlicher Abgrenzung streben, wenn die bereits bestehende Form schon einen ausreichenden Sinn hat? Ich möchte weder eine rosa-eingefärbte Wurst noch ein Steak in quadratischer Blockform konsumieren. Zumal das Anbraten in diesem Fall recht anstrengend wäre. Ersatzprodukte erfüllen also einen psychologischen Aspekt und mindern Tierleid. Da lässt sich ja eigentlich schon fast die Gegenfrage stellen: Wie sollen unsere Produkte denn geformt und benannt werden, damit Ihr Omnis nicht mehr auf sie hereinfallt?  

Übrigens, ich muss hier auf meine Würste genauso aufpassen als wenn sie aus Fleisch wären ;)



Lieben Gruß
=) 



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