Donnerstag, 25. April 2013

Buchtipp: Matthias Politycki – Jenseitsnovelle

Ab und an lese ich Bücher, die mich komplett gefangen nehmen, deren Ende ich fürchte, da ich dann die liebgewonnenen Charaktere loslassen muss. Ein solches Buch ist auch die 'Jenseitsnovelle' von Matthias Politycki. Ein kleines, schmales Büchlein, das sich sicher auch für ungeübte Leser an einem Abend durchlesen lässt. Die gelesenen Worte lassen sich aber nicht so schnell weglegen ...

Wenn nur der Geruch nicht gewesen wäre. Als ob die Blumenstengel zu faulen begonnen hatten und nun ein seltsames Nebenaroma abgaben. Die Jenseitsnovelle zieht den Leser gleich mit einer raffinierten Einführung in den Bann. Der alterne Professor für Sinologie Hinrich Schepp betritt am späten Morgen das Wohnzimmer und schon der erste Satz verrät, dass etwas passiert ist. Während er sich noch von der Schönheit seiner scheinbar schlafenden Frau Doro hinreißen lässt, schwebt der süßliche Geruch des Todes durch die Luft. Matthias Politycki kostet diesen erzählerischen Kunstgriff über mehrere Seiten aus. Schepp schwelgt in der vollkommenen Schönheit, bis er das Unfassbare erkennt und einfach beschließt, dass es nicht wahr ist. Fassungslos beginnt er über die Liebe zu seiner Frau von ihrem Anbeginn nachzudenken und umreißt die Stationen ihres gemeinsamen Lebens in wenigen Worten. Stationen, aus denen sich heraus ganz leise eine private Tragöde entsponn. Sie hatte ihren direkten Beginn, als Schepp sich, nach mehr als zwei wunderbaren stillen Jahrzehnten an der Seite seiner Frau, die Augen lasern ließ. Welch ein Schrecken, die Welt mit einem Mal so voller Details und Schärfe zu sehen. Aber in dieser neuen Klarheit kann Schepp endlich ein Eigenleben führen. Er kann alles klar und detailiert sehen – auch die Frauen. Stilvoll und raffiniert erzählt Matthias Politycki von den Abgründen einer in die Jahre gekommenen Ehe. Der Autor lässt die Erzählstränge, teilweise als Gegenströmung, mit ihren zeitlichen Rücksprüngen meisterhaft ineinandergleiten. Der Text ist äußerst stringent erzählt, und am Ende läuft alles auf den Moment zu, mit dem die Geschichte beginnt. Dabei werden auch einige unvorhersehbare Haken geschlagen.

Eine mitreißende Liebesgeschichte – und der schlimmster Albtraum zugleich. Die „Jenseitsnovelle“ greift eines der zentralsten Themen auf: Die Endgültigkeit des Todes, der kein Revidieren mehr zulässt. Was gesagt ist, ist gesagt, und bleibt im Raum stehen. Was nicht geklärt wurde, bleibt ungeklärt, lässt sich nicht mehr aus der Welt schaffen. In der Novelle schildert Politycki die Tragödie um die Sprachlosigkeit einer Liebe mit einer umfassenden Portion an Sarkasmus und Ironie, ohne dabei jedoch auf die nötige Tiefgründigkeit und Sensibilität zu verzichten.
In den eleganten, manchmal durchaus verspielten Sätzen schwingt eine Portion Melancholie mit. In dem Buch wird das Thema mit dem notwendigen Respekt aufgegriffen, es wirkt dabei aber keineswegs todernst. Im Gegenteil: Mit subtilen Humor verleiht der Autor Schepp eine fast schon beängstigend brillante Schärfe in dessen Hilflosigkeit, die sich nirgends mehr entladen kann. Gleiches für die tote Ehefrau: Während sich die Leichenflecke auf ihrem Körper ausbreiten, während sich eine Fliege vom süßlichen Geruch angezogen fühlt, hallt Doros Stimme in Form der Korrekturen mächtig durch das Wohnzimmer.

Matthias Politycki, 1955 in Karlsruhe geboren, hat Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays sowie Hörbücher publiziert und gilt als Weltreisender unter den deutschen Autoren. Bekannt wurde er vor allem durch seinen „Weiberroman“ und die Kreuzfahrtsatire „In 180 Tagen um die Welt“. Die 2009 bei Hoffmann und Campe erschienene "Jenseitsnovelle" erzählt auf 128 Seiten ohne Umschweife und kommt schnell auf den Punkt. Der Text verfügt über ein gut entwickeltes Personal. Alle Charaktere sind plastisch und lebendig. Zum Ende wird fassbar, dass die Liebe, wie sie in Schepps Kopf existierte, nicht mehr haltbar ist. Alles stürzt in sich zusammen. Es kommt zu Enthüllungen schlimmster Art, die dann doch vielleicht ganz anders sind? 

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